Redaktion: 2022 ist wieder ein wenig Normalität eingekehrt. Viele Konferenzen finden hybrid oder vor Ort statt und im Büro sieht man die Kolleg:innen wieder: Was hat das Jahr 2022 für dich besonders gemacht?
Manfred Steyer: Das Besondere war, dass wir endlich wieder Vor-Ort-Konferenzen hatten. Workshops machen einige Kunden nach wie vor sehr gerne remote und das klappt auch wunderbar. Wir bekommen hierzu wirklich tolle Rückmeldungen. Konferenzen gehen hingegen über die reine Wissensvermittlung hinaus. Da geht es auch um den „Flur-Track“, bei dem man Leute trifft und sich austauscht.
Tam Hanna: Wegen unseres Standorts in Ungarn hatten wir mit dem Coronavirus keine Probleme. Die Lage war auch während der Pandemie normal. Für mich persönlich, ich bin Elektroniker, ist es trotzdem von Vorteil, dass viele Konferenzen hybrid stattfinden: Aus dem hauseigenen Labor und mit einer Zigarre lässt es sich bequemer zusehen.
Veikko Krypczyk: Es ist richtig, das Leben auf Konferenzen und Schulungen ist wieder zurückgekehrt. Ich habe 2022 an den Magdeburger Developer Days teilgenommen, einer sorgfältig organisierten Communitykonferenz, die den großen Entwicklerkonferenzen in Fragen des technischen Niveaus in Nichts nachsteht. Die hybride Arbeitswelt ist wohl gekommen, um zu bleiben, und das ist auch gut so. Damit kann man je nach Situation das Beste aus beiden Welten, das heißt präsent vor Ort und flexibel online, miteinander verbinden.
Martina Kraus: Mein ganz persönliches Highlight war die Organisation der Angular-Konferenz in Deutschland – die NG-DE. Nach drei Jahren konnten wir sie endlich erneut in vollem Umfang stattfinden lassen und hatten 500 Teilnehmer:innen. Es tat so gut, mal wieder Entwickler:innen und die deutsche Angular-Community vor Ort bei einer Konferenz begrüßen zu dürfen. Nichtsdestotrotz bin ich weiterhin Fan von Hybrid- und Onlinekonferenzen, einfach weil es mir als Speakerin die Möglichkeit gibt, auf einer Konferenz einen Talk zu halten, ganz ohne die ggf. lange Reisezeit.
Rainer Stropek: Eine der schönsten Erfahrungen des vergangenen Jahres war eine Konferenzrundreise im Sommer, bei der ich in einer Woche mehrere Vorträge in drei verschiedenen Ländern kombinieren konnte. Da war von .NET bis Rust alles dabei. Auch wenn ich den größten Teil meiner Vortrags- und Beratungstätigkeit über Webmeetings erledige, war es wieder einmal toll, physische Konferenzen zu erleben. Ich hoffe, dass das im nächsten Jahr vermehrt möglich sein wird.
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Redaktion: Wie würdest du die vergangenen rund 12 Monate für die Microsoft-/JavaScript-/IT-Welt beurteilen? Welche Entwicklungen würdest du positiv einschätzen, welche negativ? Gab es für dich persönliche Highlights?
Steyer: In der Webwelt tauchen gerade ein paar neue interessante Frameworks auf. Beispiele sind Astro, qwik, SolidJS oder Marko. Diese Frameworks zeichnen sich unter anderem durch eine wunderbare Startperformance aus. JavaScript Bundles werden so spät wie möglich bzw. im Idealfall gar nicht geladen. Genau das ist für öffentliche Portale, bei denen es um Conversion geht, wichtig. Man merkt auch, dass Server und Client wieder mehr zusammenrücken und der Code auf beiden Seiten stärker aufeinander abgestimmt wird.
Hanna: Negativ schätze ich das ganze Dilemma um Windows 11 ein: Microsoft legt sich hier einen Badwill zu, der das gesamte Ökosystem in Zukunft viel kosten wird. Hierzu zwei Gedanken: Manche Länder haben die TPM-2.0-Frage durch ihre nationalen TPM-Verbote gelöst. Windows 11 läuft, wenn auch inoffiziell, auf Tausenden von Systemen wie meinem Lenovo T430 problemlos. Es stünde Microsoft gut an, hier eine Kehrtwende zu machen. Warum der im Allgemeinen pragmatische Satya Nadella das bisher nicht angeregt hat, ist für mich unverständlich. Die Probleme um den Android-Emulator können es nicht sein, weil man diesen analog zu Spielen nur auf kompatiblen Maschinen anbieten könnte.
Doch kommen wir zum Positiven. Neben der erfolgreichen Weiterentwicklung von Bryan Costanichs Meadow F7 gibt es mit dem neu aufgelegten .NET-Nano-Framework eine weitere Möglichkeit, um .NET-Technologien auf der letzten Meile zu verwenden. Besonders faszinierend finde ich in diesem Zusammenhang auch die Weiterentwicklung von IntelliSense in Visual Studio 2022. Stellenweise liefert das System geradezu grenzgeniale Vorschläge.
Krypczyk: Aus dem Hause Microsoft haben im Jahr 2022 die Technologien WinUI 3 und .NET MAUI das Licht der Welt erblickt. WinUI 3 ist angetreten, um die Möglichkeiten der Desktopanwendungen in grafischer Sicht deutlich zu verbessern, und ermöglicht frische und moderne Anwendungen. .NET MAUI wird Xamarin ablösen und macht es C#- und .NET-Entwickler:innen möglich, fast alle Plattformen zu erreichen.
Kraus: Dieses Jahr hat sich für mich wie ein Jahr mit vielen Veränderungen in den Technologien angefühlt: In Angular wurde das lang ersehnte Standalone API eingeführt und Reactive Forms endlich typisiert. Aber auch in der Microsoft-Welt hat sich mit dem Veröffentlichen von .NET Core 7 einiges bei der Performance und dem Minimal API getan. Blazor gewinnt immer mehr an Popularität – auch wenn der Einsatz noch recht umstritten ist. Mein persönliches Highlight ist aber tatsächlich Svelte. Gut – Svelte gibt es nun schon seit einiger Zeit, es ist also nicht wirklich neu. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass es 2022 nochmal einen – vollkommen berechtigten – Popularitätssprung bei Svelte gegeben hat. Mit SvelteKit ist es mittlerweile auch sehr viel einfacher, eine Svelte-App aufzusetzen.
Stropek: Unspektakulär würde ich sagen, wobei das nichts Schlechtes ist. Die Microsoft-Produkte und -Technologien, die ich verwende, haben sich solide und stabil weiterentwickelt. Es gab keine weltbewegenden Neuerungen, aber eine Menge hilfreicher Ergänzungen. Von größerer Bedeutung sind aus meiner Sicht die Schritte, die Microsoft dieses Jahr mit .NET in Richtung WebAssembly gemacht hat. Diese Technologie wird aus meiner Sicht noch großen Einfluss auf .NET und die Azure-Cloud haben.
Das Tool, das im Jahr 2022 auf mich den größten Eindruck gemacht hat, ist GitHub Copilot, also AI-assisted Coding. Copilot ist noch weit davon entfernt, perfekt zu sein. Schon jetzt zeigt das Werkzeug aber, welches Potenzial AI für Coding hat und wie stark diese Kategorie von Coding-Werkzeugen unsere Arbeit in den nächsten Jahren prägen wird.
Redaktion: Das Jahr 2022 hat sowohl für Microsoft als auch für JavaScript einige Neuerungen und Ankündigungen gebracht, aber ein Blick nach vorne ist immer spannend. Was würdest du dir persönlich für die Zukunft wünschen? Wo besteht Verbesserungsbedarf beziehungsweise: Was fehlt dir?
Hanna: Meiner Meinung nach spielt Microsoft, ausgenommen mit Windows 11, eine sehr saubere Strategie. Wenn man nicht in übermäßigen Aktionismus verfällt, sehe ich keinen Grund, warum das nächste Jahr für das Microsoft-Ökosystem nicht exzellent ausfallen sollte.
Krypczyk: Ich denke, es ist Zeit, dass die neuen Technologien an Reife gewinnen. Anlaufschwierigkeiten, im Moment noch fehlende Features und der eine oder andere Bug müssen noch raus, dann haben wir eine neue und solide technische Basis für alle Zielsysteme.
Kraus: Ich bin immer ein großer Fan von Zusammenarbeit. Und auch wenn ich die neuesten Frameworks für das Frontend wie Svelte, SolidJS und Qwik superspannend finde, würde ich mir einfach wünschen, dass es weniger kleinere Bewegungen gibt. In der Frontend-Welt ist man sehr schnell überfordert mit den ganzen Technologien. Möchte man heutzutage einen JavaScript Builder bzw. Bundler einsetzen, gibt es neben dem Platzhirsch webpack mittlerweile auch noch esbuild, Snowpack, Vite und Turbopack – da blickt doch niemand mehr durch.
Stropek: Die Azure-Cloud wird immer erwachsener und damit einen Tick langweiliger. Für Großkunden ist das etwas sehr Positives. Dort spielen Dinge wie IT-Governance, Data Sovereignty und Multi-Cloud-Management eine große Rolle und ich finde es gut, dass Microsoft Azure einen Fokus darauflegt, um den Einsatz der Cloud in großen Organisationen voranzutreiben beziehungsweise ihn möglich zu machen.
Als Entwickler würde ich mir aber mehr grundlegendere Innovationen wünschen. Mehr Edge Cloud wie bei Cloudflare, mehr auf Entwickler:innen ausgerichtete Datendienste wie bei Firebase, bessere Azure APIs für Entwicklungsplattformen abseits von .NET wie bei Go oder Rust, solche Dinge wären schön. Ich sehe ein kleines bisschen die Gefahr, dass vor lauter Fokus auf den Bedarf von Enterprise Businesses die Entwicklungsinnovationen ins Hintertreffen geraten. Bisher hat Microsoft ganz gut eine Balance geschafft und ich hoffe, das bleibt so.
Redaktion: Ein Blick in die Glaskugel: Was wird uns das Jahr 2023 bringen? Auf was freust du dich?
Steyer: Es wird spannend sein, zu sehen, wie die etablierten JavaScript-Frameworks React, Angular und Vue, auf die vorhin erwähnten neuen Frameworks und deren Innovationen reagieren. Die haben ja die komfortable Situation, die Konzepte, die sich bewähren, zu übernehmen. React ist da schon sehr weit und Angular möchte bis Frühjahr 2023 nachziehen.
Hanna: Ich komme aus dem Hardwarebereich. Die Frage ist, wie sich weltpolitische Ereignisse auswirken. SMO, Handelskrieg mit China und Chipkrise haben dafür gesorgt, dass überall neue Halbleiterwerke entstehen. Das kann langfristig nicht gut gehen. Insider bei Herstellern von Halbleiterproduktionsequipment berichten, dass man in den nächsten Monaten mit starkem Konkurrenzkampf rechnet. Gerade im Embedded-Bereich gilt, dass es kleinere Anbieter besonders hart trifft. Fraglich ist deshalb, inwiefern Microsoft gewillt sein wird, seinen hauseigenen Hardware-Embedded-Partnern unter die Arme zu greifen. Sonst gilt ebenfalls, dass die Weltpolitik ein wichtiger Einflussfaktor ist. Inflation und Rezession führen immer auch zu weniger Umsatz im IT-Bereich.
Krypczyk: Speziell, was die Tools angeht, blicke ich auf Visual Studio für macOS. Auch für diese IDE sind weitere Updates angekündigt, zum Beispiel eine Unterstützung von .NET MAUI. Entwickler:innen, die auf Windows und macOS unterwegs sind, wird es freuen, dass auch dieses Tool sich stetig weiterentwickelt. Im Allgemeinen hoffe ich, 2023 wieder etwas Zeit zu finden, um private Entwicklungsprojekte voranzutreiben. Die machen nicht nur viel Spaß, sie bieten auch ein großes Lernpotenzial.
Kraus: Ich freue mich sehr auf die Arbeit mit dem neuen .NET Core 7 SDK. Im November 2022 wurde es veröffentlicht und vorgestellt. Es beinhaltet einige spannende Features wie beispielsweise die Unterstützung von HTTP/3. Man merkt auch, dass es der .NET-Welt sehr guttat, sich der Community zu öffnen und ihr Feedback in die Runtime und das SDK miteinfließen zu lassen. Auch wenn mein Herz immer noch für Angular schlägt, finde ich es spannend, dass sich nun auch in Blazor einiges tut und man viele Features, die man beispielsweise aus Angular kennt, auch in Blazor findet. Darüber hinaus freue ich mich sehr auf die Entwicklungen im Frontend-Bereich. Es heißt, dass sich das Angular-Team gerade die Frameworks SolidJS und Qwik anschaut, um deren Konzepte ggf. in Angular zu integrieren. Meiner Meinung nach wird aber Svelte nächstes Jahr noch mehr Verwendung finden – also definitiv ein Framework, das in Betracht zu ziehen sich lohnt.
Stropek: Mit einem Wort: WebAssembly. Ich habe große Hoffnungen, dass Wasm ähnlich große Auswirkungen auf DevOps haben wird, wie es die Containertechnologie hatte. Ich meine damit nicht primär Wasm am Client. Dieses Thema ist durch. Es ist gekommen, um zu bleiben. Meine Hoffnung für 2023 ist, dass Wasm vermehrt serverseitig und in der Cloud eine Rolle spielen wird. Ich werde daher neben .NET weiterhin einen Fokus auf Rust haben, da diese Plattform momentan in Sachen Wasm die Nase vorn hat, auch wenn .NET, Go und JavaScript kräftig aufholen.
Die Fragen stellten Patricia Stübig-Schimanski und Janine Jochum-Frenster.